Nehmen wir uns Zeit...
Die meisten von uns haben Mühe mit der
Zeit. Man beklagt sich häufiger über Zeitmangel als über Mangel am Geld,
Grünflächen oder Freiheit.
Wir befinden uns im Klimanotstand, man
stielt unsere Freiheiten. Diese Themen beleuchten eine Gesellschaft, die sich
keine Zeit mehr nimmt zu leben, zu denken, zuzuhören. Der Mensch will alles
sofort. Unsere Vorfahren nahmen sich Zeit, setzten Prioritäten. Heute schafft
die verlaufende Zeit Unbehagen, Stress. Um solche vorübergehende Beklemmung zu
vergessen, erfindet der Mensch Zeitvertreibe. Man wendet sich vom Wesentlichen
mittels diverser Beschäftigungen ab. Dieses Vorgehen hindert uns daran, über
unser Leben nachzudenken und vermeidet eine Begegnung mit uns selbst, eine
Auseinandersetzung mit unseren Ängsten.
Gewiss, diese Beschäftigungen bereiten uns
Freude, Vergnügen, Heiterkeit... Doch dieses Vergnügen ist vergänglich,
illusorisch, denn es lenkt uns nur einige Minuten oder Stunden ab. Nachher
sind wir immer noch am gleichen Punkt: verloren oder stehen geblieben.
Fragen Sie sich nächstes Mal, wenn Sie
etwas Vergnügliches anpacken, ob es notwendig ist, lustvoll oder nur ablenkend.
Und wenn wir die Zeit zurückgewännen?
Seneca, vor Jesus geboren, war ein Stoiker
und hatte über all dies nachgedacht. Auch er ging von einer einfachen Tatsache
aus: Wir können nichts tun, um die Zeit anzuhalten. Für den Stoiker war dies
aber kein Hindernis, unsere Existenz zu meistern.
In «de brievietate vitae» lädt uns Seneca
ein, unser Leben zu analysieren, unsere Lebensjahre zu betrachten und dabei
allzu oberflächlich erlebte Dinge wegzulassen und nur auf das Wesentliche zu
sehen.
Seine Folgerung: Wir leben, als ob wir unsterblich
wären und vergessen, dass unser Leben jederzeit enden kann. Wir denken, wir
hätten immer Zeit. Wir verschieben unsere Vorhaben auf später und verschwenden
inzwischen unsere Zeit, anstatt ganz in der Gegenwart zu leben.
Wir müssen auf uns hören und eine Wahl
treffen, die im Einklang mit uns selbst ist, um unsere Zeit nicht unnötig zu
verschwenden
Mit rotarischen Grüssen
DG Jean-Noël Gex